S. Marti u.a. (Hrsg.): Die Prager Pietà in Bern/Pražská Pieta v Bernu

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Titel
Die Prager Pietà in Bern/Pražská Pieta v Bernu.


Herausgeber
Marti, Susan; Němec, Richard; Winzeler, Marius
Reihe
Schriftenreihe des Bernischen Historischen Museums
Erschienen
Prag 2018: Bernisches Historisches Museum
Anzahl Seiten
256 S.
von
Georg Modestin, Fachschaft Geschichte, Kantonsschule Freudenberg (Zürich)

Im Zentrum der grossformatigen, reich illustrierten Publikation steht die im Bernischen Historischen Museum ausgestellte Pietà, die nur in Form eines Torsos erhalten ist; mit anderen Worten: Köpfe und Gliedmasse fehlen, was sich anhand der Objektgeschichte dieses spätmittelterlichen Kunstwerks erklären lässt: Die Pietà ist ein Kernstück des sogenannten Berner Skulpturenfunds im Jahr 1986. Im Zuge von Renovierungsarbeiten an der Münsterplattform wurde in einer Tiefe von vierzehn Metern unter dem Gehniveau eine Fundschicht angeschnitten, aus der über fünfhundert behauene Steinfragmente geborgen werden konnten. Dieses aufsehenerregende Depot geht auf die Reformationszeit zurück, in deren Verlauf 1528 die sakralen Kunst (Statuen, Gemälde) und Kultobjekte (Altäre) aus den bernischen Kirchen entfernt und – im Fall der Gegenstände aus Stein – als Füllmaterial für das Aufschütten der Münsterplattform verwendet wurden. Aufgrund stilistischer und petrographischer Untersuchungen wurde die «Berner» Pietà als Importgut aus Prag identifiziert und auf die Zeit um das Jahr 1400 datiert. Dabei bleibt ungewiss, wo sie vor ihrer «Versenkung» gestanden hatte. Die transnationale Dimension der Pietà gab Anlass zu einem im November 2017 in Bern abgehaltenen Kolloquium mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Schweiz, Tschechien, Deutschland und Rumänien, das ganz diesem einen Werk gewidmet war und aus dem die Tagungsbeiträge im vorliegenden durchwegs zweisprachigen (deutschen und tschechischen) Band hervorgegangen sind.
Die vielen Fragen, die mit der «Prager Pietà in Bern» verbunden sind und die sich auch nach getaner Arbeit nicht beantworten lassen, führen dazu, dass das eigentliche Herzstück, die Pietà, aus unterschiedlichen Perspektiven umkreist wird: Nach einer Einleitung von Richard Němec, der von den zwei Leben der Pietà spricht (das erste begann um 1400, das zweite 1986), geht Susan Marti etwas näher auf die Auffindungsumstände und den Zustand des geborgenen Torsos ein. Der Auffindungsort, die Berner Münsterplattform, steht im Zentrum von Armand Baeriswyls Ausführungen, in denen die Baugeschichte nachgezeichnet wird. Die Perspektive des Restaurators wird von Urs Zumbrunn vertreten: Die Restaurierung richtet sich nach dem «Prinzip des kleinstmöglichen Eingriffes», der sich Materialien bedient, «die jederzeit ein Nachbehandeln zulassen» (77). Um die Materialität des Werks geht es auch in den kurzen Bemerkungen zu seiner petrographischen Analyse von Ivo Hloubil.
Um die bislang nicht beantwortete (Kardinals-)Frage nach den Wegen, auf denen die Pietà von der Moldau an die Aare gelangte, geht es in den Beiträgen von Christian Hesse zu den politischen Beziehungen zwischen der Reichsstadt Bern und dem Prager Hof und von Roland Gerber. Letzterer geht möglichen bernischen Auftraggebern aus dem Kreis «sozial aufstrebender Fernkaufleute» nach, die «einen namhaften Teil ihrer Handelsgewinne in Bau und Ausstattung des Münsters [investierten]» (112–113). Gleichsam um die «Gegenseite» kümmert sich Martin Musílek in seinen Ausführungen zu Prager Handelskontakten nach Westen, wobei sich Nürnberger Kaufleute als Zwischenglieder herauskristallisieren.
Für die Verortung der in Bern aufgefundenen Pietà in der kunsthistorischen Forschung sind Matthias Weniger, Markus Hörsch und Milena Bartlová besorgt, wobei insbesondere Hörsch die Schwierigkeiten des Unterfangens thematisiert. So sei es «bisher nicht gelungen [...], die Objekte [d.h. die erhaltenen Pietàs] im Einzelnen nach einheitlichen wissenschaftlich überprüfbaren Kriterien zu erfassen». «Allzu oft» seien «übergreifende Hypothesen aufgestellt» worden, «die einer rezipierenden und überdenkenden Folgegeneration dann unter den Händen zerbröselten» (167).
Einen komparatistischen Blick wagt, ausgehend von der Pietà in Sibiu (Transsylvanien), Ciprian Firea, während in den Beiträgen von Julien Chapuis und Marius Winzeler Aspekte der musealen Ausstellungspraxis diskutiert werden. Evelin Wetter beschliesst den Band mit einem Überblick über die Ergebnisse und die verbleibenden ungelösten Fragen im Zusammenhang mit der Prager Pietà in Bern, wobei die Fragen eher überwiegen. Nichtsdestotrotz ist eine aufschlussreiche Publikation zusammengekommen, die, ausgehend von einem einzigen Gegenstand, ein weites kunst und kulturhistorisches Feld absteckt. Als Bonus dürfen die qualitätsvollen, z.T. grossformatigen Abbildungen betrachtet werden.

Zitierweise:
Modestin, Georg: Marti, Susan;/ Němec, Richard; Winzeler, Marius (Hg.): Die Prager Pietà in Bern/Pražská Pieta v Bernu (Schriftenreihe des Bernischen Historischen Museums 14), Prag 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 469-470. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

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